1. Ein erhebliches Potential an ausgestiegenen Pflegekräften kann sich unter bestimmten Bedingungen einen Wiedereinstieg zurück in ihren Beruf bzw. eine Aufstockung ihres Arbeitspensums vorstellen. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die „Stille Reserve“ wieder zurück in den Pflegeberuf gewinnen?
Den Wiedereinstieg in die Pflege wollen wir zunächst durch eine insgesamte Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreichen. Wir setzen daher an verschiedenen Eckpunkten an, um die ursächlichen Probleme, die zu einem Ausstieg einer Pflegefachkraft führen, anzugehen und somit den Pflegefachberuf für Einsteiger attraktiver zu machen und ausgestiegenen Pflegefachkräften Anreize für einen Wiedereinstieg zu bieten.
Die Arbeitsbedingungen wollen wir zum einen mit Digitalisierung und mit Bürokratieabbau verbessern. So kann die Arbeit in der Pflege durch digitale Anwendungen, Automatisierung und Robotik entlastet werden. Hierbei ist von der elektronischen Patientenkurve über automatisierte Medikamentenausgabe bis hin zu robotischen Lagerungshilfen vieles möglich. Durch eine Entbürokratisierung haben die Pflegefachkräfte mehr Zeit für ihre Patienten, wodurch die Arbeit qualitativer und der Arbeitsalltag entlastet wird. Dazu fordern wir bspw. eine „Bepreisung" der Bürokratie- und Berichtspflichten. Bezahlen soll sie künftig derjenige, der sie anfordert. Pflegedokumentation darf nicht zum Selbstzweck zur Beschäftigung von Heimaufsicht und MDK werden, sondern muss sich auf die Ereignisse und Leistungen konzentrieren, die von Pflegeplanung und Routinetätigkeiten abweichen. Zum anderen wollen wir die Arbeit in der Pflege flexibler und leistungsgerechter gestalten. In diesem Sinne sollen Schichtdienste planbarer sein und der flexible Einsatz der Fachkräfte im Vergleich besser vergütet werden. Eine Einschränkung oder ein pauschales Verbot der Zeitarbeit lehnen wir diesbezüglich ab (Hierzu mehr bei der vierten Frage).
Für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf brauchen wir neben mehr Möglichkeiten der flexiblen Gestaltung der Arbeitszeiten auch Angebote der Kinderbetreuung, die den Arbeitszeiten und Schichtdiensten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gerecht werden. Generell fordert die FDP dazu, dass Betriebskindergärten steuerlich gefördert, der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in der Praxis und perspektivisch ab dem Ende des Mutterschutzes garantiert, die Betreuungszeiten flexibilisiert und die steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten ermöglicht wird.
Uns ist bewusst, dass sich die Arbeit in der Pflege durch hohe psychische und physische Belastungen auszeichnet, die durch starken Zeitdruck zusätzlich gefördert werden. Neben Bürokratieabbau und flexiblen Dienstplänen ist daher eine gezielte betriebliche Gesundheitsförderung zum Abbau von physischen und psychischen Belastungen sinnvoll. In dem Antrag „Die Berliner Pflege für die Zukunft vorbereiten“ (Drucksache 19/0346) der Fraktion der FDP im AGH haben die Freien Demokraten daher in Berlin eine Ausweitung der Angebote der Supervision gefordert, um Stress im Pflegeberuf besser zu bewältigen. Zudem wurde in diesem Zusammenhang auch gefordert, mit einer Studie dem Phänomen „Cool-Out“ entgegenzuwirken.
Um die „Stille Reserve“ wieder für den Pflegeberuf zurückzugewinnen, wurde die Berliner Regierungskoalition aufgefordert, das im Koalitionsvertrag angekündigte Programm zur Rückgewinnung von Pflegekräften nicht nur anzustreben, sondern auch zügig einzuleiten. Da sich der Fachkräftemangel durch den Renteneintritt der Babyboomer-Jahrgänge zusätzlich zu verschärfen droht, forderten die Freien Demokraten zudem, dass in dem Zusammenhang auch Lösungsansätze geprüft werden, um über-60-jährigen ausgebildeten Fachkräften eine weitere Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
2. Wie wollen Sie für mehr Ausbildung in der Pflege sorgen?
Um mehr (junge) Menschen für die Ausbildung in der Pflege zu begeistern, haben wir verschiedene Strategien vorgestellt. Generell wollen wir mehr digitale Inhalte, eine Stärkung der pflegerischen Kompetenzen und eine leistungsgerechte Durchlässigkeit in Pflegeberufen. So kann für Schulabgängerinnen und Schulabgänger der Weg von der Pflegeassistenz zur Pflege-Professur Realität werden, wenn die Ausbildungsgänge aufeinander aufbauen. Unserer Ansicht nach darf der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen nicht zulasten der Auszubildenden gehen. Diese müssen die Möglichkeit bekommen, adäquat praktisch ausgebildet zu werden. Sie dürfen nicht zu „Lückenbüßern” werden. Zur Berechnung des Pflegeschlüssels sollen Auszubildende künftig nicht mehr herangezogen werden.
Auch auf Landesebene in Berlin haben wir Freien Demokraten Vorschläge gemacht, um mehr Menschen für eine Pflegeausbildung zu begeistern. So hat die Fraktion der FDP im AGH in dem Antrag „Chancenkonzept für pflegende Angehörige ermöglichen!“ (Drucksache 19/0738) zum einen gefordert, dass der Senat alle Optionen auf Landesebene prüfen soll, sodass Schulungen und Kurse für pflegende Angehörige und ehrenamtlich Pflegende auch in einer Pflegausbildung angerechnet werden können. Zum anderen wurde die Notwendigkeit der Einleitung und Durchführung von Werbekampagnen für Pflegeberufe betont, die sich gezielt an pflegende Angehörige und ehrenamtlich Pflegende richtet.
Mit dem Antrag „Die Berliner Pflege für die Zukunft vorbereiten“ (Drucksache 19/0346) hat die Fraktion der FDP im AGH Vorschläge gemacht, um zum einen ausbildungs- und weiterbildungsinteressierte Geflüchtete aus der Ukraine nach deutschen Pflegestandards auszubilden und zum anderen die migrantischen Communities bzgl. der Pflegeberufe anzusprechen.
3. Mehr als die Hälfte der angebotenen Studienplätze für die primärqualifizierenden Pflegestudiengänge blieben zuletzt unbesetzt (56 %). Was wollen Sie für mehr Akademisierung in der Pflege und adäquate Rahmenbedingungen für Pflegestudierende tun?
Im Bereich der Pflege muss grundsätzlich ein guter Qualifikationsmix erreicht werden, weshalb wir mehr akademisch ausgebildete Pflegekräfte brauchen. Dadurch erreichen wir, dass Leitungspositionen kompetent besetzt werden können und die Qualität der Pflege evidenzbasiert weiterentwickelt wird. Damit stärkere Anreize zum Studium im Bereich der Pflege entstehen (und die Abbruchquote reduziert werden kann), braucht es zunächst eine Vergütung der Praxisphasen, etwa nach dem Vorbild des Hebammenstudiums. Das haben wir Freien Demokraten auf Bundesebene schon in der letzten Legislaturperiode in dem Antrag „Beste Bildung – Auch für die Pflege“ (Drucksache 19/30351) gefordert und setzen uns auf Bundes- und Landesebene weiterhin stark dafür ein.
Ferner soll die Finanzierung aus eigens dafür vorgesehenen Mitteln an den Hochschulen und Universitäten für die grundständige akademische Ausbildung in den Pflege- und Gesundheitsfachberufen auskömmlich gewährleistet werden. Aufbau und Schwerpunktsetzung der Studiengänge müssen jedoch weiterhin in der eigenen Verantwortung der Hochschulen und Universitäten liegen. Die Akademisierung kann zudem die klassische Berufsausbildung nicht völlig ersetzen.
4. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um Zeitarbeit in der Pflege nachhaltig einzudämmen?
Wir Freien Demokraten wollen die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern und setzen uns für einen besseren Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben ein. Eine Eindämmung, Einschränkung oder ein pauschales Verbot der Zeitarbeit bzw. Leiharbeit lehnen wir in diesem Zusammenhang ab. Immer mehr Pflegekräfte haben sich für einen Wechsel in die Zeitarbeit entschlossen, um selbst darüber entscheiden zu können, welche Dienste sie übernehmen. Zeitarbeit bzw. Leiharbeit ist ein Teil der Realität in der Pflege. Sie sichert Teilhabe für die Beschäftigten und Flexibilität für die Unternehmen.
Leasingkräfte bzw. Zeitarbeitskräfte sind daher nicht schlechter zu bewerten als andere Kräfte. Dementsprechend setzen wir Freien Demokraten uns dafür ein, dass Zeitarbeit dieselbe Wertschätzung erfährt wie jede andere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auch. Natürlich müssen, wie in allen anderen Branchen, dabei sämtliche gesetzliche Pflichten eingehalten werden. Unnötige gesetzliche Sondervorschriften zur Zeitarbeit behindern aber die Integrationsfunktion der Zeitarbeit in den Arbeitsmarkt und führen zu zusätzlicher Bürokratie. Das wollen wir ändern und zum Beispiel die Höchstüberlassungsdauer aufheben.
5. Wie möchten Sie das Problem der Wartezeiten im bürokratischen Verfahren der Berufsanerkennung internationaler Pflegekräfte lösen und Anerkennungsverfahren in Berlin beschleunigen?
Generell müssen schulische und berufliche Abschlüsse von Einwanderinnen und Einwanderern bei vorliegender gleichwertiger Qualifikation schneller, unbürokratischer und bundesweit vergleichbar anerkannt werden. Die langen Wartezeiten bzgl. der Anerkennung von Pflegeberufen (und anderer medizinischer Berufe) sind für uns Freie Demokraten absolut inakzeptabel. In vielen Fällen müssen Menschen nicht nur Monate, sondern mehrere Jahre auf eine Anerkennung warten.
In diesem Sinne hat die Fraktion der FDP im AGH u.a. mit dem Antrag „Die Berliner Arbeitsmarktintegration konsequent liberal und weltoffen denken!“ (Drucksache 19/0347) mehrere Vorschläge gemacht, um den Anerkennungsprozess von international erworbenen Berufs- und Ausbildungsabschlüssen zu verbessern und zu beschleunigen. Grundsätzlich braucht es mehr Personal für die Bearbeitung von Anträgen.
Konkret wurde deshalb u.a. beantragt, dass unbesetzte Personalstellen in den für die Anerkennung von Abschlüssen zuständigen Stellen für reglementierte Berufe (u. a. im Landesamt für Gesundheit und Soziales) zeitnah besetzt und die Ausweitung der personellen Kapazitäten in diesen Stellen geprüft werden. Mehr Personal könnte mit gezielten Anwerbungskampagnen und das bewusste Einsetzen von Role-Models, insbesondere in migrantisch geprägten Communities, sowie einer Ausweitung der Nachwuchsarbeit gewonnen werden. Zudem wurde auch konkret gefordert, dass Initiativen zur Beschleunigung der Digitalisierung von Antragsverfahren in diesen Stellen in die Wege geleitet oder unterstützt werden. Mit dem Blick auf das Jahr 2023 und dem sich verstärkenden Fachkräftemangel wollen wir Freien Demokraten, dass der Senat dieses Problem mit Priorität angeht.