Kompetenzorientierung in der Pflege – Generalistik und Spezialisierung?
Zahlreiche berufspolitische Bestrebungen wurden der Pflege in Aussicht gestellt und teilweise bereits gesetzlich geregelt. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Einführung der sog. pflegerischen Vorbehaltstätigkeiten, die in das Pflegeberufe(reform)gesetz aufgenommen wurden. Sie definieren pflegerische Anforderungen, wie die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs, die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses, die Analyse, die Evaluation, die Sicherung und Entwicklung der Qualität in der Pflege am individuellen Einzelfall der pflegebedürftigen Person. Pflegefachkräfte müssen aus Gründen des Patientenschutzes diese Kompetenzen haben und pflegebedürftige Personen haben einen Anspruch darauf, von qualifiziertem Personal behandelt zu werden. Pflegefachkräfte übernehmen für die Gestaltung und Steuerung persönlich die Verantwortung im Sinne einer Anordnungsverantwortung. Sie übernehmen die Durchführungsverantwortung für pflegerische Interventionen, deren Durchführung und Dokumentation sie an Pflegekräfte delegieren können.
Die Implementierung pflegerischer Vorbehaltstätigkeiten wird nicht nur die zunehmende Selbstverantwortung Pflege vorantreiben, sondern auch zu einer Orientierung an pflegerischen Kompetenzen führen. Pflegerische Vorbehaltstätigkeiten sind im Zusammenhang mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR) zu sehen. Der DQR sieht acht Qualifikationsniveaus vor, denen die vielfältigen beruflichen Kompetenzen der Pflege zugeordnet werden können. Mit einer Übersicht über die Qualifikationsniveaus können die beruflichen Kompetenzen in pflegerischen Berufen aufgezeigt werden. Auch kann verdeutlicht werden, welche Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote in der Pflege angeboten werden sollten, um Pflegende durch die Erreichung eines weiteren Kompetenzniveaus zu befähigen.
Die acht Qualifikationsniveaus für Pflegeberufe (vgl. Rothgang et al, 2020; Knigge-Demal, 2011) sind:
· Qualifikationsniveau 1: Alltagsbegleitung (z.B. Servicekräfte)
· Qualifikationsniveau 2: Persönliche Assistenz und Betreuung (z. B. soziale Betreuung)
· Qualifikationsniveau 3: Durchführung von Aufgaben im Rahmen des Pflegeprozesses (z.B. einjährige und zweijährige Pflegekräfte)
· Qualifikationsniveau 4: Steuerung und Gestaltung von komplexen Pflegeprozessen (z.B. duale, dreijährige Ausbildung)
· Qualifikationsniveau 5: Steuerung und Gestaltung von komplexen Pflegeprozessen für spezielle Klientengruppen (z. B. PalliativCare)
· Qualifikationsniveau 6: Steuerung und Gestaltung von hochkomplexen Pflegeprozessen und die Leitung von Teams (z. B. Bachelorabschluss)
· Qualifikationsniveau 7: Pflegerische Leitung in Einrichtungen (z .B. Masterabschluss)
· Qualifikationsniveau 8: Steuerung und Gestaltung pflegewissenschaftlicher Aufgaben (z. B. promovierte Pflegende)
Acht verschiedene Qualifikationsniveaus definieren pflegerische Kompetenzen, die fachlich, methodische, soziale und persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten beschreiben. Die Art und der Umfang pflegerischer Kompetenzen kann den besonderen pflegerischen Anforderungen pflegebedürftiger Personen zugeordnet werden. Die Zuordnung erfolgt durch die Definition von pflegerischen Anforderungen bei speziellen Zielgruppen, für besondere pflegerische Risiko-und Problemlagen, die mit dem jeweils erforderlichen Qualifikationsniveau verknüpft werden.
Aus einer Pflegemanagementperspektive kann mit der Verknüpfung von individuellen Pflegebedarfen und pflegerischen Kompetenzen die Ermittlung der qualitativ erforderlichen Qualifikationsniveaus ermittelt werden. Sind pflegebedürftige Personen einer speziellen Zielgruppe (z.B. geriatrische oder palliative Patient*innen) zu versorgen, zieht es den Bedarf des Qualifikationsniveaus 5 nach sich. Pflegende sind demnach in der Lage, die Steuerung von komplexen Pflegeprozessen für Zielgruppen zu übernehmen.
Ausgehend von den pflegerischen Anforderungen der zu pflegenden Zielgruppe können Weiterbildungsbedarfe identifiziert werden. Die Gesamtheit aller individuellen Pflegebedarfe und die genaue Analyse der benötigen pflegerischen Kompetenzen unterstützen bei der Personalentwicklung, z.B. bei der Entscheidung ob Pflegende bestimmte Weiterbildungen besuchen sollten.
Sind diese Kompetenzen erforderlich, um eine sichere Versorgung pflegebedürftiger Personen zu gewährleisten, werden diese auch automatisch im Pflegealltag gefordert. Weitergebildete Pflegende nutzen ihr neues Wissen konsequent im Alltag, indem sie die speziellen Zielgruppen selbst versorgen und nicht weitergebildeten Pflegenden bei der Umsetzung komplexer Pflegeprozesse beistehen.
Erworbene Kompetenzen bedeuten auch, im Rahmen ihres Qualifikationsniveaus die besondere Verantwortung für die pflegebedürftigen Personen und ihren Risiko- und Problemlagen zu tragen. Auf diese Weise können die erworbenen Kompetenzen mit der Verantwortung verbunden werden.
Aus der Perspektive der Anbieter von Fort- und Weiterbildungsstellen die Qualifikationsniveaus mit der Definition pflegerischer Anforderungen gleichzeitig Qualifikationsziele zur Verfügung. Um bestimmte Qualifikationsniveaus zu erreichen, müssen Weiterbildungsangebote so gestaltet sein, dass die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben werden können. Diese Entwicklung führt zu einer neuen Transparenz von Fort- und Weiterbildungsangeboten und erleichtern es Interessent*innen, die für sie richtigen Bildungsangebote auszuwählen.
Pflegerische Vorbehaltstätigkeiten stärken die Selbstverantwortung der Pflege. Gleichzeitig führen die Qualifikationsniveaus zu einer Neuordnung pflegerischer Kompetenzen, die eng mit den Pflegebedarfen der pflegebedürftigen Personen zusammenhängen. In der Folge können durch neukonzipierte Weiterbildungsangebote umfangreiche Kompetenzen erworben werden, die eine Selbstverantwortung der Pflegenden für ihre Anforderungen unterstützen. Die so entstehende Plausibilität schafft Vertrauen in den Pflegeberuf.
Dr. Susette Schumann, Ev. Diakonieverein Berlin Zehlendorf e.V.
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