Interview mit Lae Wohlketzetter, Studierende Bachelorstudiengang Pflege an der Alice Salomon Hochschule Berlin

Unter welchen Bedingungen studieren Sie Pflege?

Interview mit Lae Wohlketzetter, Studierende Bachelorstudiengang Pflege an der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH), zu den erschwerten Bedingungen und der fehlenden Vergütung für Pflegestudierende.

1.       Frau Wohlketzetter, in welchem Semester studieren Sie Pflege und was haben Sie zuvor gemacht?

Lea Wohlketzetter (LK): „Ich studiere jetzt Ende des zweiten Semesters, also ich komme Anfang April ins dritte. Ich studiere primärqualifizierend, also ich habe davor keine Pflegeausbildung gemacht. Ich habe mein Fachabitur im Gesundheitswesen gemacht, dann ein halbes Jahr ausgesetzt und habe dann zum Sommersemester letzten Jahres angefangen, Pflege zu studieren an der ASH.“

I: Wie viele Semester studiert man Pflege?

LK: „Sieben.“

2.      Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Studium?

LK: „Was ich persönlich toll finde, ist das Hinterfragen von Sachen, also nicht nur das blinde Ausführen und Lernen, sondern immer wieder die Möglichkeit, das zu reflektieren und zu hinterfragen, warum man das so macht. Im Moment sind wir noch sehr kleine Gruppen, was generell nicht so toll ist, aber fürs Lernen sehr viele Vorteile hat und auch, dass wir in viele verschiedene Einrichtungen reingucken können, weil wir Kooperationspartner haben, d. h. ich sehe nicht nur ein Krankenhaus, sondern verschiedene Einrichtungen und verschiedene Systeme.“

3.      Was hat Sie dazu bewogen, keine Pflegeausbildung zu machen, sondern den akademischen Weg zu wählen?

LK: „Tatsächlich habe ich da sehr mit mir gerungen. Ich hatte letztes Jahr um diese Zeit beides: den Studienplatz und den Platz in der Ausbildung am Krankenhaus, ganz klassisch in der Generalistik. Ich habe sehr lange überlegt und mit mir gerungen. Ich habe mich am Ende für das Studium entschieden, weil ich sehr gut englisch spreche und international Familie habe und weil es ein international anerkannter Abschluss ist. Außerdem bin ich auch ein bisschen idealistisch und habe das Gefühl, dass wenn man möchte, dass sich Sachen verändern, dann muss man Teil dieser Veränderung sein. Ich habe viele Freunde in der Pflege. Ich habe auch im Fachabi schon Praktika in die Richtung gemacht. Da merkt man immer wieder an Stellen, was nicht so gut funktioniert. Ein halbes Jahr davor hatte ich mit Herrn Prof. Dr. Gräske auf einer Messe gesprochen. Er hat dieses wissenschaftliche Interesse bei mir geweckt für den Studiengang.“

I: Wie viele sind Sie in Ihrem Kurs?

LK: „Wir sind noch fünf Personen in meiner Kohorte, die sich primärqualifizieren, also die ohne Ausbildung studieren. Etwa vier Studierende sind Weiterqualifizierende, also Menschen, die schon eine Pflegeausbildung gemacht haben und jetzt noch den Bachelor anhängen.“

4.      Treffen Sie in Ihren Praxiseinsätzen auf Pflegeauszubildende und stellen Sie einen Unterschied in der praktischen Ausbildung und Anleitung fest?

LK: „Ich hatte bis jetzt zwei Einsätze und bin nicht wirklich auf Auszubildende getroffen, also nichts, was man vergleichen könnte. Ich habe Freunde, die gleichzeitig mit mir die Ausbildung angefangen haben. Da kann ich aber eher nur den schulischen Teil ein bisschen vergleichen.“

5.      Wie sieht Ihr Alltag als Pflegestudierende aus?

LK: „Es kommt darauf an, in welcher Phase man ist. Das ist immer dreigeteilt. Wir haben Phasen, wo wir in der Hochschule sind und Vollzeit studieren. Die sind auch immer sehr voll, weil das Semester auf zwei Monate gequetscht wird. Dann haben wir den Teil, wo wir unseren Einsatz haben und 40 Stunden die Woche im Krankenhaus oder in anderen Praxiseinrichtungen sind. Und dann haben wir vorlesungsfreie Zeit, wo wir Hausarbeiten schreiben und lernen. Die meisten arbeiten dann auch. Ich arbeite auch zwischendurch, aber das ist die Zeit, wo man die Stunden nachholen kann, die man während den 40 Stunden nicht so ganz aufrecht erhalten konnte.“

I: Also kommt es schon vor, dass Sie nach den Vorlesungen in die Praxis gehen, um zusätzlich zu arbeiten?

LK: „Das ist sehr unterschiedlich. Davor habe ich das so gemacht, dass ich nach der Vorlesung oder nach dem Einsatz im Krankenhaus noch arbeiten war. Jetzt bin ich an der Hochschule als studentische Beschäftigte tätig und arbeite zwar auch, aber es ist am Laptop, deshalb fühlt sich das anders an. Aber ich habe auch Kommilitonen/-innen in meinem Semester, die nach ihrem Einsatz unter der Woche noch Schichten am Wochenende übernehmen.“

I: Unterscheidet sich die Praxisanleitung bei Ihnen zu der von beruflich Auszubildenden?

LK: „Der Studiengang ist relativ neu, es gibt auch noch keine Absolventen/-innen. In der Praxis treffen wir dann oft Kollegen/-innen oder Praxisanleiter/-innen, die selbst die Unterschiede nicht kennen und man es ihnen oft erst erklären muss. Von den Einrichtungen her werden derzeit noch keine gesonderten Anforderungen gestellt, weil die Kapazitäten und die Möglichkeiten dafür gar nicht gegeben sind. Wir bekommen Aufgaben von der Hochschule, die wir mit in die Praxis nehmen.“

6.      Welche Kritikpunkte sind als besondere Erschwernis zu benennen?

LK: „Die fehlende Vergütung für die gleichen Pflichtstunden, die wir zur Ausbildung erfüllen. Wir machen den gleichen Job, wir arbeiten genauso und es fühlt sich nach einer 40-Stunden-Woche oft unfair an. Außerdem die fehlende Perspektive. Wir studieren das jetzt und dann kommt oft die Frage ‚Und was macht ihr dann danach?“ Die Antwort heißt dann ‚ich weiß es nicht‘. Theoretisch ist das ja für die Pflege am Bett, aber wir wissen alle noch nicht, was wir danach machen. Das macht es oft schwer, das zu rechtfertigen vor anderen Menschen, wenn das hinterfragt wird.“

7.      Sie nahmen neben zwei Professoren/-innen der Hochschullehre als Vertreterin der Studierenden an einer Anhörung im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses teil. Wie war das für Sie und worauf haben Sie aufmerksam gemacht?

LK: „Es war sehr aufregend und ich hatte auch nicht viel Vorbereitungszeit, weil es sehr spontan passiert ist. Das war auch das erste Mal, dass ich da so reingerutscht bin mit dem Beitrag beim RBB und im Wissenschaftsausschuss. Ich habe auf die Konditionen aufmerksam gemacht und auf das große Problem, dass wir, bevor wir überhaupt ansatzweise mit dem Studium fertig sind, einfach so überlastet sind durch diese Doppel- teils Dreifachbelastung. Die Abbruchquoten sind unfassbar hoch und Menschen fangen gar nicht erst an. Wenn ich erzähle, dass wir fünf Menschen in meiner Kohorte sind, dann bekomme ich immer schiefe Blicke. Es brechen auch Menschen ab, die es eigentlich machen möchten und die ein Herz dafür haben, einfach weil die Belastung nicht funktioniert. Das ist das, was ich dem Wissenschaftsausschuss mitgeben wollte.“

8.       Wie war die Reaktion der Abgeordneten und wie ist Ihre Erwartung hinsichtlich weiterer politischer Schritte?

LK: „Die Reaktion ist immer etwas zwiegespalten. Einmal dieses ‚Ja, wir wissen das. Wir wissen, dass das schwer ist. Wir wissen, dass die Pflege brennt. Wir wissen, dass das Studium nicht machbar ist‘ aber gleichzeitig auch dieses Dasitzen. Das lässt einen noch ein bisschen unwichtiger fühlen, weil alle sagen ‚ja, wir wissen es‘, aber niemand macht etwas. Das war im Ausschuss auch in etwa so. Es war ja nicht das erste Mal, dass es angesprochen wurde. Und aus dem Wissenschaftsausschuss ist ja nicht wirklich viel passiert, von dem was wir angebracht haben. Da wird sich dieser Ping-Pong-Ball der Verantwortung hin und her gespielt zwischen Bund und Ländern. Jetzt wurde es ja anscheinend an den Bund abgegeben.“

9.      Was muss sich ändern?

LK: „Das eine ist ja, dass dieses Gesetz vom Bund gemacht wurde und es anscheinend nicht gut durchdacht wurde, was ja auch schon gesagt wurde, bevor das Studium losging. Nun sind wir hier und sagen das seit zwei-, zweieinhalb Jahren. Jedes Mal ist es eine Mischung aus ‚Ja, wir wissen das‘ und ‚huch, das hat ja keiner kommen sehen‘. Ich glaube schon, dass es die Aufgabe vom Bund ist. Wir hätten uns gewünscht, dass das Land Berlin eine Zwischenlösung für uns gibt, bis der Bund das regelt, damit wir nicht noch mehr Studierende aufgrund dieser Belastung verlieren. Es sieht jetzt aber so aus, dass das nicht passieren wird.“

10.  Wie werden Sie und Ihre Kommilitonen/-innen weitermachen, falls sich nichts ändert?

LK: „Im Studium versuchen wir, uns gegenseitig als Supportsystem aufrechtzuerhalten. Wir haben uns während der ganzen Praxisphase versucht, gegenseitig zu überreden, dass wir nicht aufhören, weil man immer wieder kurz davor steht aufgrund dieser Belastung. Ansonsten geben wir unser Bestes. Und in Bezug auf das Laut sein und Aufmerksamkeit erregen, so sehr es sich anfühlt, als wäre noch nichts passiert, sind es ja doch kleine Sachen, die so langsam passieren und wir hoffen, dass das irgendwie einen Stein ins Rollen gebracht hat. Es gibt ja nun eine Bundesratsinitiative und es soll einen Vordruck geben, wie das geregelt werden kann auf Bundesebene. Wir hoffen einfach, dass das schneller als langsamer passiert.“

I: Haben Sie denn weitere Schritte geplant?

LK: „Es fehlt tatsächlich die Energie und die Zeit. In der Überlegung, noch einen Brief an das Land Berlin zu schicken, frage ich mich, ob es das noch wert und nicht verschwendete Energie ist. Wir müssen unsere Energie nochmal sammeln und schauen, ob wir nochmal an den Bund gehen, in der Hoffnung, dass das schneller voran geht. Was uns zugute kommt, sind unsere Professoren/-innen, die uns da sehr unterstützen.“

I: Haben Sie denn noch ein Appell?

LK: „Ein Appell an die Politik: Bitte trödelt nicht zu viel. Je länger es braucht, desto mehr Menschen gehen auf dem Weg verloren. Das sollte nicht passieren. Wir haben auch nicht wirklich mehr die Kraft, das aufrecht zu erhalten. Und an alle, die studieren unter den Konditionen: Macht weiter, wir schaffen das! Ich bin ja nur eine Person, die hier spricht, aber hinter mir stehen ganz viele Menschen, Menschen, die Brandbriefe geschrieben haben etc. Da ist ganz viel Energie reingelaufen von vielen.“

I: Wo gehen die hin, die abbrechen?

LK: „Ich weiss, dass manche das Bundesland wechseln, z. B. nach Bayern gehen, wo es nun dieses Stipendium gibt. Manche gehen in die Ausbildung und manche gehen komplett raus, aus der Pflege. Manche, die abbrechen, haben auch schon eine Ausbildung in einem anderen Feld und gehen dahin zurück, was auch traurig ist, weil wir ja auch diese Akademisierung verbreiten möchten.“

 

Das Interview führte:

Juliane Ghadjar, Kampagnenkoordinatorin #PflegeJetztBerlin

 

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