Was bedeutet Advanced Practice Nursing für die Pflege?
Demografischer Wandel, medizinischer Fortschritt und Versorgungsinnovationen verändern auch in der Pflege die beruflichen Qualifikationserfordernisse. In Zukunft wird der Bedarf an interprofessionell, intersektoral und interkulturell ausgerichteten Fachkompetenzen in der Pflege steigen. Diese Entwicklungen erfordern eine verstärkte Qualifikationsanpassung im Pflegebereich, welche die Fähigkeit zu evidenzbasierter Arbeitsweise und eine Leitlinienorientierung der pflegerisch tätigen Fachpersonen einschließen. Diesen Anforderungen haben wir uns im Vivantes Klinikum Neukölln mit unserem Praxiskonzept Advanced Practice Nursing gestellt.
Aus pflegewissenschaftlicher Perspektive wurden für den Pflegedienst Organisationsstrukturen erarbeitet, in denen akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen neue Arbeitsfelder besetzen können und damit den veränderten Anforderungen in der Pflege gerecht werden. Zugleich bieten neue Aufgaben und eigenverantwortliches Handeln Entwicklungsperspektiven für junge Nachwuchspflegekräfte in der praktischen Pflegetätigkeit.
APN – das Ausland macht es vor
In einzelnen nordamerikanischen und skandinavischen Ländern ist diese Entwicklung bereits sehr fortgeschritten. Hier haben sich unter den Konzept Advanced Practice Nursing hochspezialisierte Pflegefachpersonen bestimmten Gesundheitsproblemen oder Patient*innengruppen angenommen und die Gesundheitsversorgung strukturell und im Outcome qualitativ verbessert.
Unter dem Oberbegriff Advanced Nursing Practice (ANP) definiert der International Council of Nurses (ICN) die eigenverantwortliche Arbeitsweise von Pflegefachexpert*innen in spezifischen klinischen Settings. Ins Deutsche übersetzt kann dieses Vorgehen auch als erweiterte und vertiefte Pflegepraxis beschrieben werden.
Wo wollen wir hin?
Mit dem Konzept zur Einführung von Advanced Practice Nursing folgt das Klinikum Neukölln den nationalen und internationalen Entwicklungen in der Pflegepraxis. Die Gemeinsamkeit in diesen Ansätzen ist, dass akademisch weitergebildete Pflegefachpersonen mehr Verantwortung und Autonomie im Versorgungsprozess erhalten. Neben der Weiterentwicklung der Pflege erwarten wir eine optimale patientenorientierte pflegerische Versorgung.
Beginnend mit einem generalistischen Ansatz werden sich die Pflegexpert*innen/ APN in den jeweiligen Fachabteilungen einarbeiten und anteilig in der Patient*innenversorgung tätig sein. Wenn die Pflegefachexpert*innen/ APN im Haus etabliert sind, ist es denkbar, dass sich APN auf eine bestimmte Erkrankung, ein Fachgebiet und/ oder spezifische klinische Probleme spezialisieren. Die Advanced Practice Nurses werden mit ihrer Rolle selbst Führungsverantwortung als Clinical Leader wahrnehmen.
Als Herausforderung wird sich die Etablierung neuer Führungsstrukturen im Klinikum zeigen, da die eigenständige Arbeitsweise und die fachliche Expertise von APN an klassischen Organisationsstrukturen im Krankenhaus rütteln wird. So sehen wir zukünftig neben der Pflegemanagementebene auch eine fachliche Führungsebene in den einzelnen Bereichen.
Pflegerische Fachexpertise in der Onkologie
Als erste Fachbereiche verfügen die onkologischen Kliniken im KNK seit Frühjahr 2021 über eine eigene Pflegefachexpertin/ APN. Neben einer klassischen Fachweiterbildung in der onkologischen Pflege verfügt sie zusätzlich über eine akademische Qualifikation als Bachelor.
Das Patient*innensetting im Cancer Center Berlin-Neukölln (CCBN), mit spezifischen onkologisch-pflegerischen Fragestellungen, bildet die optimale Grundlage, dass die Pflegefachexpertin/ APN sich mit ihrer besonderen Fachexpertise in der Patient*innenversorgung einbringen kann.
Beginnend mit der Überarbeitung des onkologischen Pflegekonzepts, wurden die organspezifischen Besonderheiten der onkologischen Pflege herausgearbeitet. Das Hauptaugenmerk liegt bei unseren häufig multimorbiden und durch die Erkrankung und/ oder Therapie geschwächten Tumorpatient*innen in der Ermittlung des individuellen Pflegebedarfs. Daher wurde die onkologische Pflegevisite als standardisiertes Assessment zur Bedarfsermittlung der Patient*innen aktualisiert und auf den onkologischen Stationen implementiert. Für die individuellen Pflegesituationen können die Pflegefachpersonen unterstützende Angebote von anderen Berufsgruppen, wie beispielsweise Sozialdienst, Psychoonkologie, Physiotherapie oder auch Seelsorge hinzuziehen. Zielstellung bleibt, die kontinuierliche Beratung und Schulung der onkologisch erkrankten Patient*innen und ihrer Angehörigen während des gesamten Krankheitsverlaufs zu gewährleisten. Das Ergebnis der durchgeführten Maßnahmen wird in standardisierten Intervallen durch die Pflegeexpertin/ APN evaluiert.
Juliane Müller, Pflegeexpertin/ APN Onkologie im KNK: „Mit der Stelle Pflegeexpertin/ APN stehe ich vor einer großen Herausforderung. Mein abstraktes Wissen aus der Theorie muss ich so umformen, dass den Patient*innen und ihren Angehörigen, aber möglichst auch den Kolleg*innen vor Ort, ein praktischer Vorteil daraus entsteht.
Um das zu gewährleisten, habe ich die Chance, während meiner stationären Arbeit in der Onkologie, eine Häufung von Pflegephänomenen zu erkennen und diesen dann wissenschaftlich zu begegnen. Ein Beispiel ist die Versorgung der Patient*innen mit oraler Mukositis. Hier konnte ich mit einer Arbeitsgruppe die aktuellen evidenzbasierten Erkenntnisse zusammenfassen und daraus ein Handbuch und eine Verfahrensanweisung erstellen.
Ich bin überzeugt, es sind kleine Themenfelder wie diese, die dann zusammengefasst die Versorgung unserer onkologischen Patient*innen verbessern und stabil auf einem hohen Niveau halten.“
Die Zukunft
Mit dem eingeschlagenen Weg folgen wir den Richtungspfeilen aus der internationalen Pflege. Uns ist dabei bewusst, dass wir mit kleinen Schritten vorangehen, damit das Ziel, eine evidenzbasierte Pflege, auch mit einem nachhaltigen Ergebnis erreicht werden kann.
Als ersten Schritt sehen wir für den Standort Neukölln die Etablierung von Advanced Practice Nursing in der onkologischen Pflege. Mit der zahlenmäßigen Vergrößerung unseres APN-Teams zum Jahresbeginn 2022 auf insgesamt 6 Mitarbeiter*Innen, können wir den nächsten Schritt gehen und weitere Pflegephänomene gemeinsam im Netzwerk der Vivantes Kliniken wissenschaftlich bearbeiten und in der Praxis umsetzen.
Autor: Robert Bauer (M.Sc.), Pflegexperte/ APN Vivantes Klinikum Neukölln