Nach Angaben des philippinischen Migrationsministeriums leben etwa 12 600 Filipinas und Filipinos als sogenannte Arbeitsmigrant*innen in Deutschland; die meisten davon verdienen ihr Geld in Pflegeberufen. Im Evangelischen Geriatriezentrum Berlin (EGZB) arbeiten inzwischen 80 philippinische Pflegekräfte, ohne deren Einsatz die erstklassige Versorgung der Patient*innen nicht mehr möglich wäre.
Philippinische Pflegekräfte in Berlin: Vom großen Erfolg einer mutigen Idee
Der Impuls war aus der Not geboren: 2018 belastete der Fachkräftemangel die Klinik, das Pflegepersonal war überlastet, der Arbeitsaufwand und die gewünschte Versorgungsqualität kaum zu schaffen und die Bewerbungen aus dem Inland mehr als mau. „Eine Lösung musste her“, erinnert sich Elvira Haynes, seit 25 Jahren Mitarbeiterin im EGZB und seit 2017 Pflegedirektorin. Heute ist sie mehr als glücklich, dass sowohl die Idee und als auch der Mut, Pflegekräfte aus den Philippinen zu rekrutieren, von ihrem Geschäftsführer nachhaltig, sowohl finanziell als auch inhaltlich, unterstützt wurden. „Wir haben uns dann mit einer Vermittlungsfirma in Verbindung gesetzt. Die ersten Bewerbungsgespräche liefen über Zoom.“
Gut ausgebildet und fleißig
Pflegekräfte auf den Philippinen sind gut ausgebildet und schließen ihr Studium mit dem Bachelor of Nurse ab. Eigentlich gute Voraussetzungen, wenn da nicht die deutsche Sprache wäre. Bevor der Flieger in den kalten Norden abheben konnte, musste die Sprache in Grundkenntnissen gelernt und hohe bürokratischen Hürden wie Einreisebestimmungen, die Organisation des Anerkennungsverfahrens und die Wohnsituation genommen werden. Ein langwieriger und zäher Kraftfakt für alle Beteiligten. „Die ersten 10 Personen kamen dann etwa ein Jahr später. Mir war von Anfang an wichtig, dass wir eine größere Gruppe Menschen zu uns einladen, damit sie sich in Berlin nicht einsam fühlen.“
Sprache und Pflege lernen
Nur – allein mit der Ankunft in Deutschland waren die Hürden noch lange nicht genommen; weder die bürokratischen, noch die menschlichen. Elvira Haynes: „Obwohl sie so gut ausgebildet sind, ist ihr Berufsstatus bei uns zunächst der einer Pflegehilfskraft. Um in Deutschland eine staatlich anerkannte Pflegefachkraft zu werden, sind zwei wichtige Komponenten erforderlich: Die B 2 Sprachprüfung und die sogenannte Kenntnisprüfung der pflegerischen Fähigkeiten. Alle diese Prozesse waren auch für uns neu.“ Hinzu kamen ganz andere Pflegestandards. „In diesen Ländern übernehmen in der Regel Angehörige die Körperpflege und Versorgung der Patient*innen. Das ist auf den Philippinen kein Bestandteil des Ausbildung und muss in Deutschland ‚nachgeschult‘ werden.“
Imagebildung von Anfang an
Auch zwischenmenschlich waren die Erfahrungen neu und herausfordernd, auch und gerade, weil Menschen aus 26 Nationen im EGZB arbeiten. „Auf der einen Seite mussten wir unsere Stammmitarbeitenden aufklären und für die neue Situation sensibilisieren, auf der anderen Seite die Gefühle der Menschen, die aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen, verstehen lernen.“ Der erste Schritt in die Arbeitswelt war es, Tandems zu bilden, auch im Dreischichtsystem: Eine Pflegefachkraft und eine philippinischen „Pflegefachkraft in Anerkennung“ bildeten Teams. „Dabei war es wichtig, gleich von Anfang an das Bewusstsein zu schaffen, dass die neuen Kolleg*innen gleichberechtigt sind.“
Zermürbende Bürokratie
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGESO) in Berlin ist bei diesen Prozessen eng eingebunden. Die Prüfungsunterlagen müssen hier eingereicht werden, damit die Anerkennung in Form einer Urkunde erfolgen kann. „Allein dieser Prozess kann schon bis zu einem Jahr dauern. Das zermürbt.“ Erschwerend ist zudem, dass die Aufenthaltsvisa alle drei Monate verlängert werden müssen. Eine Entfristung kann erst nach Anerkennung der Ausbildung und Aushändigung der Urkunde erfolgen. „Ich würde mir wünschen, dass hier die Bürokratie schmaler und auch die Bearbeitung deutlich schneller gehen würde.“
Das Geheimnis des Erfolges? Menschen verstehen
Elvira Haynes ist besonders stolz, dass die ersten zehn Personen, die kamen, geblieben sind. Mehr noch. Sie sind zufrieden mit ihrem Job, in Deutschland angekommen, haben teilweise ihre Familien nachgeholt beziehungsweise neue gegründet. Anders als bei anderen Arbeitgebern wirbt die philippinische Community sogar untereinander für Jobs im EGZB. „Wir müssen also irgendwas ganz gut machen“, lächelt die Pflegedirektorin. „Selbst die Recruiter auf den Philippinen bestätigen mir, dass sich Menschen mit dem Wunsch bewerben, im EGZB zu arbeiten.“ Von den 180 Pflegekräften im EGZB kommen inzwischen 80 Personen aus den Philippinen.
Kultur der offenen Tür
Elvira Haynes pflegt eine Kultur der offenen Tür, es gibt zugewandte Ansprechpersonen, die geschult sind im Umgang mit Persönlichkeiten aus Südostasien. Die Menschen müssen spüren und wissen, dass ihre Rechte genauso wahrgenommen und wichtig sind wie die der anderen Kolleg*innen. Diskriminierungen, auch in der Vergabe von Diensten und Schichten, darf es nicht geben; wie in anderen Krankenhäusern durchaus üblich, da in der asiatischen Kultur selten „Nein“ gesagt wird. Elvira Haynes: „Mir war von Anfang an bewusst, dass Menschen aus diesem Kulturkreis eine ganz andere Ansprache und einen sehr viel engeren persönlichen Kontakt benötigen. Das haben wir sofort eingeführt und vor allem nachhaltig gepflegt.“ Auch umgekehrt musste viel gelernt werden: „Beispielsweise sind der Umgang mit Krankmeldung und Kündigung ganz anders als bei uns. Lernprozesse gab es also auf allen Seiten. “Wer das als Arbeitgeber nicht versteht, muss damit rechnen, dass die philippinischen Pflegekräfte einfach gehen, wenn Wertschätzung und Gleichbehandlungen fehlen. Denn Arbeit gibt es genug in Deutschland."
Kritik niemals vor den Ohren Dritter
Um Integrationsprobleme möglichst zu verhindern, müssen Mentalitäten verstanden werden, sagt die Pflegedirektorin. Wenn beispielsweise bei den philippinischen Mitarbeitenden etwas schief läuft, wird im notwenigen Feedback-Gespräch immer erst gelobt und dann erst kritisiert; und dies niemals und unter keinen Umständen vor den Augen und Ohren anderer, sondern immer in Einzelgesprächen. Die deutsche Sprache ist weniger blumig als die philippinische; auch hier gilt es, Fingerspitzengefühl in der Kommunikation zu zeigen. „Wichtig ist dabei natürlich immer, an der Sprachbarriere zu arbeiten. Gerade, wenn es so viele Menschen aus einem Land gibt, ist die Versuchung groß, untereinander in der Heimatsprache zu kommunizieren.“
Nächster Schritt: Selber ausbilden
Übrigens hat die umtriebige Pflegedirektorin schon neue Ideen, wie sie dem Pflegenotstand entgegen wirken kann. „Ich liebäugele mit einem Projekt, junge Menschen aus Drittländern ohne entsprechende Ausbildung nach Berlin holen und sie an unseren Schulen auszubilden. Aktuell steht ein gefördertes Projekt in El Salvador im Raum. Denn insgesamt wird der anspruchsvolle und nicht immer leichte Pflegeberuf in Deutschland, allein durch das Dreischichtsystem, nicht mehr als attraktiv angesehen. Wir brauchen also dauerhafte Lösungen. Jetzt gilt es also, auch langfristig offen und kreativ zu bleiben.“
Appell an die Behörden
Für Elvira Haynes ist das Projekt gelungen – mit vielen ambitionierten Bemühungen von allen Seiten. Mehr noch: „Wären wir damals diesen Schritt nicht gegangen, könnten wir den Betrieb hier im Haus wahrscheinlich in dieser Form gar nicht mehr aufrechterhalten.“
Nur würde sie sich wünschen, dass endlich die Behörden schneller reagieren, um die Anerkennungsverfahren zu vereinfachen und auch viele Deutsche die Leistung der Migranten, die vom ersten Tag ihrer Ankunft für ihr Geld arbeiten, anerkennen. Das sind ihrer Meinung nach in diesem ganzen Prozess die größten Hindernisse.
Kontakt: Elvira Hayes, Pflegedirektorin im EGZB
E Mail: elvira.haynes@jsd.de
Telefon: 030 4594 2099
Das Evangelische Geriatriezentrum Berlin (EGZB) in Berlin-Mitte ist ein Unternehmen der Johannesstift Diakonie und gehört zu den modernsten Einrichtungen für Altersmedizin Deutschland. Zum EGZB gehören eine Klinik für Akutgeriatrie und Frührehabilitation, eine Tagesklinik und ein Pflegestützpunkt. Die Klinik ist akademisches Lehrkrankenhaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Bildrechte: Frederic Schweizer II Johannesstift Diakonie gAG, Siemensdamm 50, 13629 Berlin
Artikelrechte: Johannesstift Diakonie gAG, Siemensdamm 50, 13629 Berlin