Herangehensweisen an den Pflegekräftemangel: Arbeitsbedingungen, Studium und Ausbildung, Finanzierung

„Stärkung der Pflege“

Eine der gravierendsten Herausforderungen in unserem Gesundheitssystem ist der Pflegekräftemangel. Dieser wurde nicht erst durch die Corona-Pandemie ausgelöst, wie wir wissen. Aber durch die Pandemie wurde er sichtbarer und auch, dass Pflegekräfte „systemrelevant“ sind und mit ihrer hochqualifizierten Arbeit die gesundheitliche Versorgung der Patienten und pflegebedürftigen Menschen sichern. Jeder weiß nun, dass es nicht reicht Intensivbetten zu haben, wenn es nicht genügend Pflegekräfte gibt. Oder, dass viele Pflegebedürftige nur deshalb zu Hause weiter leben können, weil der ambulante Pflegedienst täglich vorbei kommt und es die Angebote der Tagespflege gibt.

Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird auch in Zukunft kontinuierlich steigen. Deshalb braucht es, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, mehr als kurzzeitige Gesten der Anerkennung wie Applaus oder Einmalprämien. Veränderungen, wie z.B. gerechte Löhne, verlässliche Arbeits- und Freizeiten und eine verbesserte Personalausstattung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern müssen schnell vor Ort spürbar werden. Nur wenn sich die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte so verändern, dass genügend Menschen diesen Beruf ausüben wollen, wird es gelingen die gute gesundheitliche Versorgung der Menschen in unserem Land zu sichern.

 

Bessere Arbeitsbedingungen

Die Politik hat dies erkannt. In der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) haben drei Ministerien mit allen Akteuren der Pflege gemeinsam einen umfassenden Maßnahmenkatalog erarbeitet, der all die Themen adressiert. Damit Pflegekräfte flächendeckend mindestens auf Tarifniveau entlohnt werden können, hat der Gesetzgeber die Refinanzierung von Tariflöhnen ermöglicht. Ein rein finanzieller Anreiz ohne andere Maßnahmen wäre aber zu kurz gesprungen und vermutlich nicht sehr nachhaltig, um Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen und im Unternehmen zu halten. Denn häufig sind es Arbeitsbedingungen, wie unzuverlässige Dienstpläne, häufige Rückrufe aus dem Frei, die Unvereinbarkeit zwischen Beruf und Familie oder die mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, die den Ausschlag geben, in Teilzeit zu gehenoder aus dem Beruf auszuscheiden.

Als einen Beitrag zur KAP habe ich ein bundesweites Projekt zur Umsetzung „guter Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf (GAP)“ initiiert. Das Projekt unterstützt Pflegeeinrichtungen dabei bessere Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter umzusetzen. Ein Pilotprojekt, das im Jahr 2019 stattfand, hat das gezeigt und wie dies realisierbar ist.

Für stabile Dienstpläne braucht es vor allem eine bedarfsgerechte Personalbemessung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Für die Langzeitpflege hat Prof. Rothgang ein umfassendes Modell vorgelegt, das nun zügig pilotiert und umgesetzt werden muss. Im Krankenhaus sollten die als Zwischenlösung eingeführten Personaluntergrenzen baldmöglichst abgelöst werden durch eine einheitliche Personalbemessung. Der Vorschlag von ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat muss weiter entwickelt und eingeführt werden.

Qualifizierung und interprofessionelle Zusammenarbeit

Eine weiterer Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist die neue, im vergangenen Jahr eingeführte Pflegeausbildung. Die Reform der Pflegeberufeausbildung macht sie moderner und interessanter. Durch die generalistische Ausbildung haben die zukünftigen Pflegefachfrauen und -männer wesentlich breitere Einsatzmöglichkeiten und berufliche Perspektiven. Durch die Möglichkeit des Studiums werden mehr Schulabgänger als bislang angesprochen und weitere Karrieremöglichkeiten eröffnet. Dadurch das nun Aufgaben definiert wurden, die ausschließlich Pflegefachpersonen vorbehalten sind, wird der Pflegeberuf aufgewertet und die Patientensicherheit gestärkt.

In einem vom Bundesministerium für Gesundheitinitiierten Strategieprozess zur interprofessionellen Zusammenarbeit, der auch ein Ergebnis der KAP ist, geht es darum, Aufgaben nach „Können“ zu verteilen. Pflegefachpersonen sollen mehr Verantwortung erhalten und Aufgaben, für die sie qualifiziert sind, selbstständig im Sinne der Heilkundeübertragung ausüben dürfen. Und gleichzeitig werden sie von pflegefernen Tätigkeiten entlastet. Da der Fachkräftemangel viele Berufe im Gesundheitswesen betrifft, bedarf es guter Konzepte für einen Qualifikationsmix. Nur durch eine Neugestaltung der Zusammenarbeit zwischen den Berufen im Gesundheitswesen kann die flächendeckende, bedarfsgerechte Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen auch zukünftig gelingen.

 

Finanzierung

Wir brauchen also vielfältige Maßnahmen um den gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen. Eine wesentliche Grundlage für die Realisierung guter Arbeitsbedingungen ist natürlich auch die Finanzierung. Denn anders als in anderen Branchen haben die Sozialpartner in der Pflege die Finanzierung für bessere Arbeitsbedingungen nicht selbst in der Hand. Sie können zwar die dringend benötigten Tarifverträge mit innovativen Arbeitszeitmodellen, höheren Gehältern etc. vereinbaren, müssen sich aber auf die Finanzierung durch Sozialhilfeträger, Pflegekassen und die Pflegebedürftigen verlassen. Deshalb muss sichergestellt werden, dass in Tarifverträgen vereinbarte Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitmodelle vollständig von den Kostenträgern refinanziert werden, ohne die Pflegebedürftigen finanziell noch stärker zu belasten.

 

Fazit

Die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Pflegeberuf derzeit zu Teil wird, darf nicht ungenutzt bleiben, denn sie bietet die Chance den Forderungen der Berufstätigen Nachdruck zu verleihen und auch mehr Menschen für diesen hochprofessionellen, vielfältigen Beruf zu gewinnen. Allerdings müssen sich die Arbeitsbedingungen jetzt ändern! Die in der KAP beschlossenen Maßnahmen müssen konsequent umgesetzt und finanziert werden: die Einführung eines Personalbemessungsverfahrens; die Neujustierung der interprofessionellen Zusammenarbeit mit mehr Entscheidungsmöglichkeiten; die Aufwertung des Berufsbildes über höhere Gehälter, Zulagen und Entlohnung von Weiterqualifizierung sowie bessere Karrierechancen; verlässliche Arbeits- und Freizeiten; Entbürokratisierung von Prozessen und ein stärkerer Einsatz digitaler Medien.

Jede Anstrengung hilft. Daher ist zu begrüßen, dass die Berliner Krankenhausgesellschaft mit #PflegeJetztBerlin eine Initiative zur Gewinnung und zum Verbleib von Pflegekräften ins Leben gerufen hat. Unter anderem soll ermittelt werden welche Strategien zur Bekämpfung des Pflegenotstandes die effektivsten sind und welche Handlungsoptionen es zur Verbesserung des  Personalschlüssel in der Pflege gibt. Pflegekräfte brauchen ein Arbeitsumfeld, in dem sie nicht permanent unter Zeitdruck stehen und ihre anspruchsvolle Arbeit so ausüben können, wie sie es gelernt haben.

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung

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