Renate Völpel

Das Büro des Landes Berlin bei der EU – Berlin in Europa

Mit der jüngsten Wahl in Berlin wurde die Zuständigkeit für Europa und damit für alle mit der Europäischen Union zusammenhängenden Grundsatzfragen wieder beim regierenden Bürgermeister, d. h. bei der Senatskanzlei, angesiedelt. Neben dem Grundsatzreferat Europaangelegenheiten gehört nun auch das in Brüssel angesiedelte Büro des Landes Berlin bei der EU wieder zur Senatskanzlei.  

Ein Grund mehr dieses Büro und seine Tätigkeit kurz vorzustellen.

https://www.berlin.de/sen/europa/berlin-in-europa/berliner-buero/

Berlin unterhält bereits seit 1989, wie alle anderen deutschen Länder, eine Vertretung bei den europäischen Institutionen. Die Ländervertretungen unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer personellen und finanziellen Ausstattung - so gehört das Berliner Büro mit seinen 10 Beschäftigten eher zu den kleineren Ländervertretungen in Brüssel – aber letztlich lässt sich deren Aufgabenbereich auf zwei Aufgaben runterbrechen:

(1)   Früherkennungssystem, d. h. wichtige Entwicklungen werden in einem möglichst frühen Stadium erfasst, analysiert und nach Berlin kommuniziert.

(2)   Interessenvertretung - Berliner Positionen werden in geeigneter Weise bei den Brüsseler Akteuren und Institutionen eingespeist.

Bei der Vertretung der „Interessen“ folgt Berlin als Stadtstaat und Hauptstadtregion einer anderen Logik als ein Flächenland, wie z. B. Brandenburg. So stehen neben den „klassischen Themen“, wie dem Green Deal, der Finanz-, der Kohäsions-, der Industrie-, Innovations- und Forschungspolitik für Berlin auch Themen, wie die Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationskrise, die Städtepolitik und nicht zuletzt die Sozial- und Gesundheitspolitik im Fokus.

Ein Grund hierfür mag sein, dass durch die Verabschiedung der Europäischen Säule der sozialen Rechte im November 2017 die Sozial- aber auch Gesundheitspolitik auf EU-Ebene eine neue Dynamik erfasst hat, die Berlin mitgestalten möchte. [1]

Spätestens mit der COVID-19-Pandemie und der Forderung von Kommissionspräsidentin von der Leyen eine Gesundheitsunion zu schaffen, ist die Gesundheitspolitik nicht mehr von der Agenda der Europäischen Union wegzudenken.

Zur Einbringung Berliner Interessen in die europäische Sozial-, aber auch Gesundheitspolitik steht Berlin ein Set von formellen und informellen Instrumenten zur Verfügung.

So sieht Artikel 23 des Grundgesetzes – der sog. Europaartikel – umfangreiche Möglichkeit für die Länder vor, am Entscheidungsprozess auf europäischer Ebene mitzuwirken. Neben Stellungnahmen des Bundesrates zu relevanten europäischen Legislativvorhaben, die von der Bundesregierung bei den Verhandlungen im Rat zu berücksichtigen sind, gehört hierzu auch das Recht des Bundesrates, Vertreter für die Arbeitsgruppen des Rates zu benennen.

Sowohl für den Sozial- als auch den Gesundheitsbereich gibt es daher „Bundesratsbeauftragte“ in den entsprechenden Ratsarbeitsgruppen (RAG). Das Berliner Büro nimmt eine solche Bundesratsbeauftragung seit 2013 für die RAG Soziales wahr. Somit ist Berlin unmittelbar in die Verhandlungen und Beratungen über alle Legislativdossiers in diesem Bereich involviert.

Ebenso haben die Fachministerkonferenzen der Länder - die Arbeits- und Sozialministerkonferenz und die Gesundheitsministerkonferenz - Europaarbeitsgruppen eingerichtet, die einmal im Jahr den direkten Austausch mit den Generaldirektionen Gesundheit (GD SANTE) sowie mit Soziales und Beschäftigung (GD EMPL) suchen.

Bei dieser Aufzählung darf nicht der Ausschuss der Regionen (AdR) fehlen. Diese seit 1994 auf europäischer Ebene bestehende Vertretung der Regionen und Kommunen sichert ganz offiziell den Regionen ein obligatorisches Anhörungsrecht bei vielen Politikfeldern zu. Hierzu zählen auch die Sozial- und Gesundheitspolitik. Berlin ist im AdR durch den Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes Berlin beim Bund, Florian Hauer, vertreten.

Daneben gibt es eine Fülle von „informellen“ Instrumenten, um Interessen der Länder gegenüber der Kommission und gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Co-Gesetzgeber neben dem Rat, einzubringen.

Hier seien nur exemplarisch die Facharbeitskreise der deutschen Ländervertretungen in Brüssel genannt. Neben dem Arbeitskreis Soziales, der seit Jahrzehnten eine exklusive Gesprächsrunde mit der GD EMPL (die sog. „Kaufmann-Runde“) unterhält, gibt es den Arbeitskreis Gesundheit, der neben den Vertretern der Länderbüros auch die Vertreter relevanter Verbände und Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich umfasst. Die Arbeitskreise suchen regelmäßig im Vorfeld der Vorlage einer Gesetzesinitiative das direkte Gespräch mit der Generaldirektion SANTE bzw. GD EMPL, um die Kommission für Themen bzw. für etwaige Probleme bei der Umsetzung des Regelungsvorschlags in nationales Recht zu sensibilisieren.

Nicht zuletzt beteiligt sich Berlin regelmäßig an den von der Kommission lancierten Online-Konsultationen, so zuletzt im Rahmen der Online-Konsultation zum Grünbuch Altern, das die Vorstufe für die im letzten Jahr verabschiedete Ratsempfehlung zur Pflege darstellte.

Auch werden auswärtige Sitzungen des Berliner Senats in Brüssel von den Senatorinnen und Senatoren dazu genutzt, Fachgespräche mit für Berlin relevanten Kommissaren zu führen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Gestaltung der Europapolitik keine Einbahnstraße ist, sondern des konstanten Dialogs zwischen Berlin und Brüssel bedarf, und hierbei dient das Büro des Landes Berlin bei der EU als Türöffner!


[1] Diese Säule der sozialen Rechte umfasst 20 Prinzipien, nach denen sich die EU und die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik richten sollen, um eine soziale Aufwärtskonvergenz in der EU zu erreichen.  Allein zwei dieser Prinzipien berühren den Gesundheits- und Pflegebereich. So sieht Prinzip 16 vor, dass jede Person das Recht auf eine rechtzeitige, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung und Heilbehandlung haben soll, während wiederum im Prinzip 18 niedergelegt wurde, dass jede Person das Recht auf bezahlbare, hochwertige Langzeitpflegedienste, insbesondere häusliche Pflege und wohnortnahe Dienstleistungen, hat.

Renate Völpel

Stellvertretende Leiterin Senatskanzlei Europaangelegenheiten - Büro des Landes Berlin bei der EU in Brüssel